Der Stille Schrei Die alte Dame liegt ruhig. Der Mund ist geöffnet wie zu einem Schrei. Vielleicht möchte sie schreien, aber die Kräfte verlassen sie. Die leeren, eingefallenen Augen starren an die Decke des Krankenwagens. Sie liegt auf der Trage und wartet. Auf den Tod? Vielleicht fürchtet sie sich! Vielleicht möchte sie in den letzten Stunden eine Hand halten! Der Krankenwagen fährt weiter durch die Nacht. Die Begleitperson im Krankenraum nimmt keine Notiz von der alten Dame. Er hört nach vorn – der sagt etwas von einem Verkehrsunfall – interessant nicht war? Sterbende Leute von A nach B zu fahren – unnotwendig. Wer bestimmt aber was ist notwendig? Der stille Schrei der alten Dame dringt nicht ans Ohr des Rettungssanitäters im Krankenraum. Ach ja, der Funkverkehr, der VU (Verkehrsunfall) und jetzt rückt der Notarzt aus und gar die Feuerwehr – ist wohl jemand eingeklemmt! Die Sterbenden – sie können nicht mit einem Megaphon sich Gehör verschaffen. Sie können nicht streiken, sich nicht beschwerden oder gar an die Presse schreiben, sie liegen nur da – einfach so. Ruhig ist es im Funk. Der Rettungssanitäter wendet endlich seinen Blick zu der alten Dame. Sie hat aufgehört zu atmen. Sie ging allein über die Schwelle des Todes. Alles was sie noch wollte, war eine Hand zu halten. Es ist zu spät – man hat den stillen Schrei überhört, die tastenden Finger übersehen. Der stille Schrei der alten Dame ist verklungen. |